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Der Versuch – erster Teil

7. Juli 2019

Seit meinem letzten Blogeintrag hätte es eigentlich viel zu berichten gegeben. Aber wie so oft kommt einem das Leben dazwischen. Ein neuer Job, eine neue Wohnung…..viel zu viel, das es zu organisieren gab.

Organisieren, welch treffende Überleitung.

Mein Aufenthalt im April war genau davon geprägt. Wie organisiere ich alles in einer kurzen Osterwoche? Die erste Besichtigung des Architekten vom MET stand an, eine Journalistin und eine Fotografin vom Sense of Home Magazin aus Hamburg sollten mich in Siebenbürgen besuchen, um über mein Projekt zu berichten und eine Videojournalistin des Fernsehsenders TVR meldete ebenfalls Interesse an dem Thema an. Zur selben Zeit wollte ich Großputz im Casa Anna machen, Unkraut zupfen, die kaputten Ziegel aussortieren, den alten Müll vom Hof entfernen, Erdbeeren pflanzen und mein erstes eigenes Ostermahl mit frischen Zutaten vom Hermannstädter Cibins-Markt zubereiten (der täglich von 7 Uhr morgens bis 20 Uhr abends geöffnet hat!!!).

Aber zunächst ging es nach Abtsdorf, um nach dem „Rechten zu schauen“ (bei diesem Ausdruck muss ich schmunzeln, denn er erinnert mich immer an die Interviews, die ich vor einigen Jahren mit sogenannten Sommersachsen geführt habe. Auf die Frage, was sie immer wieder zurück zu ihren Häusern in Siebenbürgen führe, hörte ich genau das als Antwort…man müsse doch nach dem Rechten schauen). Obwohl ich mittlerweile einige Bekannte im Dorf habe und sie mich regelmäßig über das Haus und die Ereignisse im Dorf auf dem Laufenden halten (wozu ich auch das Wetter zähle…es ist bei einem solch alten Haus nämlich gar nicht unwesentlich zu wissen, ob das undichte Dach zum Beispiel von Schneemassen beschwert wird oder aufgrund des Regens weiter Feuchtigkeit in die Wände dringt), war ich mental auf einige Überraschungen gefasst. Da ich seit November vergangenen Jahres nicht mehr beim Haus gewesen war, erwartete ich einige neue Untermieter vorzufinden…aber siehe da, das Ultraschallgerät hatte tatsächlich die Mäuse ferngehalten. So musste ich auch nichts Unangenehmes entsorgen, sondern nur die üblichen Spinnweben beseitigen. Bei der Inspektion der Utensilien und des Werkzeugs im Schuppen stellte ich jedoch fest, dass es darum nicht sonderlich gut bestellt war. Ein paar alte verrostete Gartenscheren, ein Besen und eine solch schwere Schaufel, dass ich mich frage, wie sie Annitante überhaupt heben konnte. Viel mehr gab es nicht (mehr).

Ich beschloss als ersten Schritt in Richtung „Hausrenovierung“, mich in einem örtlichen Hornbach mit dem nötigsten Werkzeug und Gartenzubehör auszustatten. Mit Spaten, Schaufel, Gartenschere, Hammer, Nägeln und einem stylischen „Rasenkürzer“ (-mäher lässt er sich bei aller Liebe nicht nennen) ausgerüstet, fühlte ich mich zum ersten Mal wie eine ernstzunehmende Hausbesitzerin. Voller Stolz stürzte ich mich in die Arbeit, beseitigte hier einen Wildwuchs, schlug dort einen Nagel zurecht, pflanzte zusammen mit Andrei unsere ersten Erdbeeren und fand, nach einer sehr intensiven und nervenaufreibenden Zeit in meinem Job, eine tiefe Genugtuung im Unkraut zupfen – mit dem Gegacker von Nachbar Hans` Hühnern als einzige Geräuschkulisse. Für jemanden, der wie ich die letzten Jahre in Großstädten verbracht hat, ist es eine ganz neue Erfahrung, mit schmutzigen Händen und zerrissenen Hosen an einem alten Haus zu arbeiten. Irgendwo im Nirgendwo, in einem Dörfchen namens Abtsdorf.

Karfreitag kamen Verena und Regina schließlich in Hermannstadt mit der Mission an, mein Projektvorhaben mit Stift und Kamera festzuhalten. Das Sense of Home Magazin erzählt auf eine einzigartig bildhafte Weise, wie Menschen ihr Zuhause definieren und einrichten.

Home, also Heimat oder das Zuhause, ist ein Thema, das mich von Kindheit an begleitet und sehr beschäftigt hat. Außerhalb meiner Heimat (eine Frage, die ich lange gar nicht und jetzt mit Siebenbürgen beantworten kann) ein neues Zuhause zu finden, das war nicht leicht. Heute in der Lage zu sein, mir ein Zuhause irgendwo in der Welt frei auszusuchen und gleichzeitig an einem weiteren Zuhause in der Heimat zu arbeiten, ist ein kaum zu beschreibendes Gefühl. Ein Gefühl, das man erlebt, wenn sich ein Gordischer Knoten löst und sich in einem ebenmäßigen Kreis schließt. Verena und Regina davon einen Einblick geben zu dürfen und sie durch meine Augen Siebenbürgen, Abtsdorf und mein Casa Anna sehen zu lassen, das war eine wunderschöne Erfahrung. Beide haben sich voll und ganz auf dieses zweitägige Abenteuer eingelassen und – so versicherten sie mir bei der Abreise – sehr viel mitgenommen. Nicht nur Eindrücke einer ursprünglichen Kulturlandschaft, sondern vielleicht auch die eigene Auseinandersetzung mit Heimat.

Mir selber haben diese intensiven Tage auch viel gegeben, denn ich hatte zum ersten Mal die Möglichkeit zu erfahren, wie mein Herzensprojekt auf Fremde wirkt. Die Geschichte aus der Perspektive der beiden ist ab dem 11. Juli in der neuen Ausgabe des Sense of Home Magazins nachzulesen.

Die Besichtigung des Casa Anna durch einen Architekten vom Mihai Eminescu Trust fiel auch auf einen der beiden Tage, an denen Verena und Regina zu Gast waren. Ich hatte diesem Besuch so lange entgegengefiebert und konnte es kaum erwarten herauszufinden, was ein Fachmann zum Zustand des Hauses sagen würde. Und so erfuhr ich endlich, was die Feuchtigkeit in den Wänden des zweiten Zimmers verursacht: In einem ca. halben Meter großen Abschnitt zwischen meinem und dem Haus von Nachbar Hans sammelt sich seit Jahren das Regenwasser und kann von dort nicht abfließen. Eine Regenrinne, die das Wasser vor das Haus ableitet, ist eine sehr praktische Sofortmaßnahme – die noch in diesem Jahr umgesetzt werden soll. Nachdem ich schon mit einigen, viel komplizierteren Zusammenhängen und Ursachen für die Feuchtigkeit gerechnet habe, fühlte ich mich doch erleichtert. Auch ansonsten konnte mich der Architekt beruhigen: zwar betonte er, es werde viel Arbeit werden, aber das Haus befinde sich trotz des Alters und der seit Jahren vernachlässigten Instandhaltungsarbeiten, in einem guten Zustand. Er empfahl mir, die Fassade des Hauses abzutragen und die Ziegel ein Jahr lang trocknen zu lassen. Die handgemachten Ziegel, bestehend aus einem homogenen Gemisch aus Lehm und Sand sollten wieder „atmen“ können und danach weitere Hunderte von Jahren (!!!) ihren wertvollen Dienst am Casa Anna tun. Ich nahm mir daraufhin vor, gleich in den nächsten Tagen mit dem Abtragen der Fassade zu beginnen.

Der Ostersonntag war dann etwas sehr Besonderes: nachdem wir erst in den frühen Morgenstunden das Lamm aus dem Backofen holen und die bemalten Eier in den Korb legen konnten, ging es nach ein paar Stunden Schlaf zum Ostergottesdienst in die Johanniskirche in Hermannstadt. Für Andrei war es das erste Mal, dass er einen evangelischen Gottesdienst besuchte (und das eine Woche vor den offiziellen, orthodoxen Ostern) – für mich war es das erste Mal, dass ich an einem Ostergottesdienst in Siebenbürgen teilnahm. Die ganze Atmosphäre in der, bis zum letzten Sitzplatz gefüllten Johanniskirche war von einem Miteinander bestimmt. Ein Miteinander von Jung und Alt, bekannten und neuen Gesichtern, Hermannstädtern und Zugereisten, Protestanten und Anders-konfessionellen. Des interkonfessionellen (Haus-)Frieden willens, einigten Andrei und ich uns darauf, jedes Jahr abwechselnd einmal evangelische und einmal orthodoxe Ostern zu feiern. Für mich heißt das nächstes Jahr: die laaaangggeeeeen Stunden in der Kirche stehend zu überstehen – oder zu schummeln und sich die „Paşti“ (Weißwein und Weißbrot) einfach früh morgens abzuholen.

Aber zurück zum Haus. Dort kamen am Ostermontag nämlich nochmal Gäste vorbei: ein kleines Fernsehteam vom rumänischen Sender TVR aus Neumarkt (Tirgu Mures) interviewte mich für die Sendung „Deutsche Stunde“. Meine Aufregung darüber, zum ersten Mal vor laufenden Kameras über ein mir so wichtiges Thema zu sprechen, ist mir sichtlich anzusehen. Auch verhinderte ein eiskalter Wind, dass ich mich im Freien sitzend, wirklich entspannen konnte. Aber seht selbst: http://casaanna.ro/medien/

A propos Wind: die Freude am Abtragen der Fassade verging mir dann ziemlich schnell, denn bei jedem Schlag auf das Mauerwerk wehte mir der Wind den Putzstaub ins Gesicht. Ohne Mund- und Augenschutz ein unmögliches Vorhaben. Welches ich auf meinen nächsten Besuch im Juni verschob.

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