Casa Anna, ein siebenbürgisch-sächsisches Haus

oder „Wie restauriere ich mein Kulturerbe?“

Von den pastellfarbenen Häusern mit ihren kleinen Fenstern und hohen Eingangstoren war ich schon als Kind fasziniert. Jedes Mal, wenn wir im Sommerurlaub durch die pittoresken Dörfer Siebenbürgens fuhren und die schönen Häuserreihen an meinem Fenster vorbeizogen, malte ich mir aus, wie die Menschen darin wohl lebten. Später, während meines Geschichtsstudiums, beschäftigte ich mich mit den soziokulturellen Aspekten der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft – vor allem auf den Dörfern, wo sich die sozialen Strukturen bis in die Mitte des 20. Jahrhundert erhalten konnten. Nun war ich nicht mehr nur fasziniert von den charakteristischen Häuserfronten, sondern vor allem davon, wie der ausgeprägte Gemeinschaftssinn der Siebenbürger Sachsen den architektonischen Stil dieser Häuser geprägt hat.

Ohne viel von Architektur zu verstehen, fiel mir während meiner Besuche in den letzten Jahren doch immer häufiger auf, wie viele alte siebenbürgisch-sächsische Häuser ohne Rücksicht auf den Naturraum, der sie umgibt, verändert wurden. Mal entstand auf den sonst eingeschossigen Häusern eine zweite Etage, die sich überdimensioniert über die Nachbarhäuser erhebt – mal wurden die Fassaden in grellen Farben gestrichen, die so gar nicht mit der übrigen Umgebung harmonisieren wollen. Auf diese und ähnliche Weise haben viele der siebenbürgisch-sächsischen Häuser heute ihren Charme verloren.

Doch wie ist es etwa um den Erhalt kulturellen Erbes bestellt, wenn unter dem Modernisierungswahn nicht nur die Ästhetik leidet, sondern die jahrhundertealte Architektur verändert wird? Die Achtung vor der handwerklichen Bauleistung der Siebenbürger Sachsen vor dem Hintergrund ihres kulturellen Erbes in Siebenbürgen sollte eigentlich dazu führen, Modernisierungsmaßnahmen nur auf Grundlage von Nachhaltigkeit, das heißt unter Anwendung von regionalen, naturbelassenen und gesunden Baustoffen vorzunehmen. Wie das geht, beschreibt der Architekt Jan Hülsemann sehr eindrucksvoll in seinem Buch „Das sächsische Bauernhaus in Siebenbürgen. Was wie machen an alten Häusern“ (ISBN 978-3-98106-189-5), welches auch meinem Projekt als wichtiges Nachschlagewerk dient.

 

 

Seit September 2018 bin ich nun in fünfter Generation Besitzerin des Hauses am Dorfeingang von Abtsdorf bei Marktschelken. Im Jahre 1872 auf den Grundmauern eines vermutlich viel älteren Hauses erbaut, ist dies das Heim, in dem mein Ur-Urgroßvater von seiner Tante aufgezogen wurde und Jahre später durch einen Unfall im Weinkeller ums Leben kam. Sein Sohn Georg führte die Tradition des Weinbaus fort und errichte im Keller sogar eine gut laufende Wirtsstube.

1909 wurde in diesem Haus auch mein Großvater Martin geboren, den ich selbst nie kennengelernt habe. Nach Kriegsende wurde er, wie etwa 30.000 weitere Siebenbürger Sachsen zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt. Zur selben Zeit wurden meine Urgroßeltern totalenteignet, das bedeutet, dass sie ihren gesamten Grundbesitz, die Weinanbauflächen, ein Waldstück und auch das Haus selbst an die kommunistische Regierung Rumäniens verloren. Nach der Rückerstattung des Familieneigentums  lebte meine Großtante Anna fortan alleine in ihrem geliebten Elternhaus (mehr zur Namensgeberin des Hauses unter „Die Inspiration“.) Seit 2008 steht das Haus, das mittlerweile stark restaurierungsbedürftig ist, leer.

 

Aus Respekt vor meinen Vorfahren, ihrer Lebensleistung und der Liebe zu ihren Traditionen, und weil auch ich die Entschlossenheit einer Siebenbürger Sächsin geerbt habe, möchte ich ihr kulturelles Erbe erhalten. Ich möchte das Haus, an dessen Erhalt viele Generationen vor mir hart gearbeitet haben, wieder in den Zustand versetzen, in dem es einst war. Das Haus, mein „Casa Anna“, soll die Ursprünglichkeit und den Charme zurückerhalten, die es einst ausgemacht haben. Wo immer es geht, sollen bei der Restaurierung nur solche natürlichen Mittel zum Einsatz kommen, die in Siebenbürgen seit Jahrhunderten benutzt werden, zum Beispiel Holz, Lehm oder Kalk.

Mein Ziel ist es, das Haus fachgerecht zu restaurieren, zu erhalten was sich erhalten lässt und es auch um moderne Annehmlichkeiten, wie einem Badezimmer, zu erweitern.

Als agrotouristisches Gästehaus mit Geschichte soll es schließlich all jenen offen stehen, die einen authentischen Einblick in die Traditionen der Siebenbürger Sachsen sowie der Kulturlandschaft Siebenbürgens erleben möchten.